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„Wenn der Kunde abwandert, fehlt es an Kompetenz“

Wie lange ein potenzieller Kunde im Ladengeschäft verweilt, hängt weitgehend davon ab, wie wohl er sich darin fühlt. Bei den neusten Erkenntnissen geht es um „den Sinn der Sinnlichkeit“. Der Ästhetiker und Inszenierungs-Experte Stefan Suchanek aus München erklärt, wie Verkaufsräume optimiert werden können.

Gold’Or: Stefan Suchanek, Sie sind auf die Optimierung von Verkaufsräumen spezialisiert. Ein modernes Schlagwort dafür heisst „Multisensorik“. Was bedeutet das genau?

Stefan Suchanek: Mulitsensorik bedeutet, dass der Handel die Chance besitzt, mit dem Ansprechen unserer fünf Sinne den Umsatz zu steigern, da unser Gehirn emotional aufgeladene Informationen tiefer verankert und bevorzugt behandelt. Es handelt sich dabei um das uralte Wissen der Inszenierung, das heute durch die moderne Gehirnforschung bestätigt wird. Nehmen wir den 11. September 2001, das grosse Attentat in New York: Viele Menschen, die ich dazu befrage, erinnern sich daran, an welchem Ort sie waren, was sie gemacht haben – sogar oft, was sie an diesem Tag für Kleider getragen haben. Das zeigt auf, dass je emotionaler Informationen aufgeladen sind, umso länger werden sie abgespeichert. Schauen wir aber lieber auf die positiven und leicht umsetzbaren Emotionen: Dazu gehören angenehme Düfte zu riechen, harmonische Klänge zu hören, schöne Materialien anzufassen, begehrlich inszenierte Produkte zu sehen oder etwas Feines zu schmecken. Mit einer sinnlich aufgeladenen Situation werden Kaufentscheidungen positiv beeinflusst. Die Sinnlichkeit bekommt einen Sinn.

Gold’Or: Man spricht auch von der dreidimensionalen Wahrnehmung.

Stefan Suchanek: Genau. Wir wissen, dass es fünf Sinne gibt. Forscher sprechen gar von dreizehn Sinnen. Bewiesen ist, dass wir einen Sinn für Zeit und Raum haben. Blinde sind hier besonders sensibel und können durch multisensorische Wahrnehmung sogar abschätzen, wie gross ein Raum ist oder wie viele Leute sich ungefähr darin befinden. Sehende speichern solche Dinge in erster Linie im Unterbewusstsein. Untersuchungen zeigen, dass sich sowohl die Aufenthaltsqualität als auch Aufenthaltsdauer steigern, wenn Exponate nicht nur an der Wand, sondern auch in der Raummitte präsentiert werden.

Gold’Or: Detailhändlern wird von den grossen Marken immer mehr vorgeschrieben, welche Artikel wo und wie präsentiert werden müssen. Da bleibt nicht mehr viel Spielraum um das Geschäftslokal selber zu gestalten.

Stefan Suchanek: Das Problem kenne ich, denn wir beraten auch die Zugpferde. Sie wollen ja eigentlich auch das Beste, indem sie die Präsentation ihrer Produkte vereinheitlichen. Doch damit wird man austauschbar: Ich denke, man kann mit den Leuten diskutieren und Kompromisse finden. Sicher gibt es Situationen, in denen der Detaillist klein beigeben muss. In erster Linie muss er aber sein „eigenes Label“ kreieren, also sein Geschäft als Ganzes vermarkten. Es sollte sich von den anderen Ladenlokalen abheben, von einem eigenen Stil zeugen. Ich bin zwar kein Wirtschaftsexperte, aber es lohnt sich sicher, in seine eigene Marke, den eigenen Geschäftsauftritt zu investieren, statt nur eine austauschbare Kopie von jemand anderem zu sein.

Gold’Or: Wie können Goldschmiede und Juweliere für mehr Wohlbehagen bei den Kunden sorgen?

Stefan Suchanek: Als Erstes muss festgestellt werden, dass alles sauber und in unbeschädigtem Zustand ist, das gilt auch für die Einrichtung. Da es sich in dieser Branche um Luxusgüter handelt, ist ein gepflegtes und elegantes Umfeld wichtig. Weiter müssen die Temperaturen angenehm sein und es sollte gut riechen. Wichtig sind auch die Oberflächenmaterialien, ein Holztisch ist wärmer als einer aus Glas. Das Geschäft sollte möglichst wohnlich eingerichtet sein, denn ein Kunde, der sich rundum wohlfühlt, gibt eher 2000 Franken aus. Wenn der Kunde abwandert, fehlt es an Kompetenz.

Gold’Or: Was sind die neusten Erkenntnisse bei der Raumeinteilung?

Stefan Suchanek: Bevor es das Internet gegeben hat, wollte man den Kunden ein möglichst breites Angebot präsentieren. Heute brauchen wir nicht mehr alles von jedem Hersteller im Laden zu haben. Es ist wichtiger, dass das Geschäft eine gewisse Struktur und Kernkompetenz aufzeigt. Die Kasse sollte nicht auf den ersten Blick zu sehen sein, sondern eher das eigene Markenlogo. Man kann den Laden ein bisschen wie eine Stadt einteilen, nämlich in verschiedene emotionale Bereiche, statt nach Marken. In einer Ecke geht es vielleicht um die Liebe, in einer anderen um Geburt, Ehrungen oder Modeschmuck. Wer Männerschmuck führt, könnte diesen Bereich beispielsweise mit „Für wilde Kerle“ betiteln. Humor ist sowieso sehr wichtig. Wenn der Kunde schmunzelt, fühlt er sich wohl. Ebenfalls positiv wirkt es sich aus, wenn die Leute (rund)herum laufen können.

Gold’Or: Was ist bei der Möblierung zu beachten?

Stefan Suchanek: Da gibt es keine Pauschalität. Als Faustregel kann gesagt werden: Je edler die Uhren und Schmuckstücke sind, umso hochwertiger sollten auch die Möbel sein. Ein Geschäft, das in einem Einkaufscenter Modeschmuck verkauft, braucht keine Marmortische. Das Interieur muss die Zielgruppe ansprechen.

Gold’Or: Auch Schmuck und Uhren werden immer öfter im Internet verkauft. Wie bringt man die Leute dazu, einen Gang ins Geschäft zu machen?

Stefan Suchanek: Uhren und Schmuckstücke gehören glücklicherweise zu den Dingen, die vor dem Kauf meistens angeschaut und berührt werden wollen. Daher orientieren sich einige zwar erst einmal im Internet, kommen aber später doch ins Geschäft. Wenn sie da sind, geht es vorwiegend um die emotionalen Aspekte: Der Mensch sucht Wertschätzung und will Freude erleben. Der Besuch im Laden soll eine Entschleunigung darstellen. Die Menschen können mit Zauber reingelockt werden, vielleicht mit einer Enthüllung oder versteckten Dingen. Auch die Ateliers können sichtbar gemacht werden, so dass dem Goldschmied oder Uhrmacher bei der Arbeit über die Schulter geschaut werden kann. Eventuell kann auch ein kleines Museum mit der Familiengeschichte gestaltet werden. Wer Recycling- oder Faire-Trade-Ware verkauft, kann das werbewirksam in Geschichten verpacken. Kurz: Erfolgreiche Ladenlokale werden heute kuratiert. Es steht nicht mehr das Produkt im Vordergrund, sondern die Geschichte dazu.

„Der Besuch im Laden soll eine Entschleunigung darstellen.“ Stefan Suchanek

Gold’Or: Verraten Sie uns noch den ultimativen Trick, wie der Kunde das Geschäft vor lauter Wohlgefühl am liebsten gar nicht mehr verlassen möchte?

Stefan Suchanek: Da gibt es tatsächlich einen. Ich behaupte mit einem kleinen Augenzwinkern: Heutzutage ist das Geheimnis beim Verkaufen nicht nur gut verhandeln zu können, sondern Handel ist die Begegnung von Menschen. Gut zuzuhören und sich auf den Kunden und seine Geschichten einzulassen, gehören genauso zu erfolgreichen Geschäften wie die Objekte optimal in Szene zu setzen. Wer fragt „wollen sie eine Gold gewordene Liebe verschenken?“ hat damit mehr Erfolg als der, der nur von einem Ring spricht. Das Ziel sollte nicht bloss der Umsatz sein, sondern die Begegnung mit dem Kunden möglichst angenehm und wertschätzend zu gestalten. Menschen wissen viel über Geld, aber wenig über Werte. Wer dafür ein Bewusstsein entwickelt, der hatte schon immer gute Erfolgschancen.

Zur Person
Stefan Suchanek ist Ästhetiker, Retail Designer, Berater und Dozent für visuelle Rhetorik und Inszenierung an der Akademie für Mode & Design in München. Früher hat er als Bühnenbildner und als TV-Moderator beim Bayerischen Fernsehen gearbeitet und war Partner der Neuromerchandising Group (Frankfurt/ München). Mit Erkenntnissen aus der traditionellen Gestaltungslehre, Evolutionsbiologie und Hirnforschung schafft er Räume mit mehr Sinn und Sinnlichkeit. Gerne berät er auch Detailhändler und Goldschmiede in der Schweiz.

Info
www.dieraumkunst.de