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Wo alle Fäden zusammenlaufen

Gewebegestalterin Zoe Wüst am Beratungstisch der Paramentenwerkstatt.

Das Weben ist eines der ältesten Handwerke der Menschheit. Zehntausende von Jahren wurde von Hand gewebt, bis in der industriellen Revolution entsprechende Maschinen aufkamen. Seit dieser Zeit ist die alte Kunst, aus Schuss- und Kettfäden Stoffe herzustellen, selten geworden.

Der EFZ-Ausbildungsberuf für Weberinnen und Weber heisst Gewebegestaltung. Die Ausbildung dauert drei Jahre. Im Durchschnitt entscheiden sich jährlich acht bis zehn junge Menschen für diesen Beruf und beginnen die Lehre. Nützliche Fähigkeiten für angehende Gewebegestalter sind ein gutes Auge für Details und Farben, technisches Verständnis, Aufgeschlossenheit im Umgang mit anderen Menschen und – besonders wichtig – Geduld. Dem Weben am Webstuhl, der mechanisch oder computergesteuert sein kann, gehen umfangreiche Planung und Vorbereitung voraus.

Auftraggeber sind in erster Linie private Kunden, Innenarchitekten oder Hotels. Oft gehören Webereien zu sozialen Einrichtungen oder werden als unabhängige Ateliers geführt. Meist stellen Gewebegestalter kleine Serien her oder konzentrieren sich auf Einzelstücke. Viele von ihnen arbeiten selbstständig und geben zusätzlich zu ihren regulären Aufträgen Kurse, bei denen sie ihr Wissen weitergeben. Weil der Aufwand, der mit der Ausbildung einhergeht, für kleine Ateliers oft kaum zu stemmen ist, gibt es nur wenige Lehrbetriebe. Der Blockunterricht findet in mehrsprachigen Klassen im Val Müstair (GR) und im Centro scolastico per le industrie artistiche CSIA in Lugano statt. Der Verein Textilforum ist die Organisation der Arbeitswelt für Gewebegestalter. Sein Vorstand und die Berufskommission sind die tragenden Gremien der Ausbildung. ca

textilforum.ch

Titelbild: Gewebegestalterin Zoe Wüst am Beratungstisch der Paramentenwerkstatt.

 

Weben im Kloster

 

Die Gewebegestalterin Zoe Wüst leitet die Paramentenwerkstatt des Klosters Fahr bei Dietikon. In einem Gespräch mit Gold’Or spricht sie über ihren Werdegang und die Bedeutung des Handwerks.

Gold’Or: Zoe Wüst, Sie sind gelernte Gewebegestalterin und leiten heute eine Paramentenwerkstatt. Wie sah Ihr Weg hierher aus?

Zoe Wüst: Mir war schon immer klar, dass ich einen handwerklichen Beruf ergreifen möchte. Nach dem Schulabschluss habe ich die dreijährige Ausbildung zur Damenbekleidungsschneiderin EFZ gemacht. Über meine erste Stelle in diesem Beruf bin ich zur Gewebegestaltung gekommen. Im Münstertal in Graubünden konnte ich berufsbegleitend die Ausbildung zur Gewebegestalterin EFZ machen. Nach meinem Abschluss hat es mich zurück in meine Heimatregion, den Kanton Aargau, gezogen. Zuerst habe ich zu 40 Prozent in der Schneiderei und Weberei der Paramentenwerkstatt des Klosters gearbeitet und parallel dazu 60 Prozent im Torffaser-Atelier in Lenzburg. Vor drei Jahren habe ich die Möglichkeit bekommen, die Leitung der Paramentenwerkstatt zu übernehmen. Seitdem habe ich mein Pensum im Kloster erhöht, bin aber weiterhin einen oder zwei Tage pro Woche in Lenzburg.

 

Mit diesen Tüchern wird der Ambo, das Lesepult in katholischen Kirchen, für jede liturgische Feier passend geschmückt.
Mit diesen Tüchern wird der Ambo, das Lesepult in katholischen Kirchen, für jede liturgische Feier passend geschmückt.

 

Erklären Sie uns, was Paramente sind?

Darunter versteht man alle textilen Produkte, die in Kirchen und in der Liturgie zum Einsatz kommen: Messgewänder, Stolen, Altartücher, Kelchwäsche und mehr. Besonders in der katholischen Kirche sind Farben von Bedeutung, weil den Zeiten und Festen im Kirchenjahr bestimmte Farben zugeordnet werden. Im Advent ist das zum Beispiel Violett als Zeichen der Busse, an Weihnachten und Ostern Weiss als Farbe des Lichtes, häufig mit goldenen oder silbernen Verzierungen.

Wie lange dauert es, einen Stoff zu weben?

Der Prozess ist detailreich und zeitintensiv. Zuerst spreche ich mit dem Kunden über seine Wünsche, also welche Garne, Farben und Muster verwendet werden sollen. Danach werden die Webstühle mit den Fäden bespannt. Das ist der aufwändigste Teil, denn je nach Grösse des Auftrags kann das Bespannen mehrere Wochen dauern. Das Weben selbst ist der letzte Schritt, sozusagen das Dessert. In unserer Werkstatt arbeiten drei Ordensschwestern und zwei externe Mitarbeiterinnen. Mit den fünf grossen und fünf kleinen Webstühlen sind wir gut aufgestellt und können eine Vielzahl an Kundenwünschen umsetzen.

 

Während der Webstuhl zum Weben vorbereitet wird, nimmt man jeden einzelnen Faden dreimal in die Hand.
Während der Webstuhl zum Weben vorbereitet wird, nimmt man jeden einzelnen Faden dreimal in die Hand.

 

Was bedeutet dieser grosse Aufwand für die Preisgestaltung?

Die meisten Kunden sind sich bewusst, dass handgefertigte Paramente ihren Preis haben. Bei denen, die erschrocken reagieren, nehme ich mir Zeit und erkläre ihnen, wie viel Arbeit nötig ist, damit eine fertige Stola auf dem Tisch liegt. Ich beschreibe den Kunden unsere Arbeitsschritte und stelle die hochwertigen Materialien vor, die wir verwenden. Oft bekomme ich danach zu hören, dass die Preise für unsere Produkte ihre Berechtigung haben.

Warum ist die Wertschätzung handgewobener Stoffe zurückgegangen?

Das liegt zum einen daran, dass viele Menschen wenig mit dem Handwerk zu tun haben. Kinder werden kaum noch in Feinmotorik gefördert, in den Familien und in der Schule wird zu wenig gebastelt, gebaut oder gestaltet. Wer nicht schon als junger Mensch mit dem Handwerk in Berührung kommt, tut sich später oft schwer, den Wert handgefertigter Produkte richtig einzuschätzen. Zum anderen haben billige Massenprodukte den Markt überschwemmt und die Wahrnehmung von Qualität verändert. Dort liegt der Fokus auf schnellem, günstigem Konsum. Ich sehe aber auch eine Gegenbewegung: Es gibt Menschen, die aktiv nach handgefertigten Produkten suchen. Sie schätzen die Zeit und das Können, die in einem solchen Produkt stecken.

 

Der Preis für ein solches Messgewand aus Wolle und Seide mit passender Stola liegt im mittleren vierstelligen Bereich.
Der Preis für ein solches Messgewand aus Wolle und Seide mit passender Stola liegt im mittleren vierstelligen Bereich.

Was fertigen Sie besonders gerne an?

Über die Rolle von Farben in der katholischen Kirche habe ich ja schon gesprochen. In letzter Zeit erlebe ich, dass auch die reformierte Kirche mehr Farben einbezieht. Ich freue mich jedes Mal, wenn der Talar nicht schwarz, sondern zum Beispiel blau bestellt wird. Blau gehört zu meinen Lieblingsfarben. Es bringt Frische und Lebendigkeit in die reformierten Kirchen.

Was muss man mitbringen, wenn man überlegt, Gewebegestalter zu werden?

Die entscheidende Voraussetzung ist die Freude am Handwerk. Ohne sie wird man in keinem Beruf glücklich. Ein Flair für Farben und Formen sowie ein gutes Vorstellungsvermögen sind auch wichtig. Dazu kommen handwerkliches Geschick und Ausdauer. Zudem muss man gewillt sein, exakt zu arbeiten. Ich liebe beide Berufe. Sie ermöglichen es mir, meine Fähigkeiten unterschiedlich einzusetzen. In der Schneiderei und in der Gewebegestaltung sind Präzision, Kreativität und Geduld gleichermassen wichtig. Für mich gibt es nichts Schöneres, als einen glücklichen Kunden zu sehen, der die Arbeit wertschätzt, die in jedem handgewebten Stück steckt. Das ist für mich die grösste Belohnung.

Carina Andres