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„Wir zelebrieren das Handwerk“

David Rust und David Neuweiler haben nicht nur den gleichen Vornamen, sondern sie sind auch beide gelernte Goldschmiede und pflegen eine lange Freundschaft. Anfang 2018 haben sie gemeinsam einen bedeutenden Schritt in die Zukunft gewagt und das renommierte Goldschmiede-Geschäft Bolli in der St. Galler Altstadt von Daniel Simonin übernommen.

Gold‘Or: David Neuweiler und David Rust, seit sechs Jahren seid Ihr die Geschäftsführer und Eigentümer des Goldschmiedeateliers
Bolli, mitten in der Sankt Galler Altstadt. Wie läuft es?

David Neuweiler: Wir sind zufrieden und stolz, dass wir seit Beginn den Umsatz um rund 20 Prozent steigern konnten. Dank dem guten Geschäftsverlauf konnten wir die Kapazität im Atelier von einem auf vier Goldschmiede und Goldschmiedinnen plus einen Edelsteinfasser erweitern.

Wie ist es zu dieser Übernahme gekommen?

Unser Vorgänger, Daniel Simonin, hat uns vor ein paar Jahren angefragt, ob wir Interesse hätten. Er war früher Berufsschullehrer und unterrichtete mich und ein paar Jahre später auch meinen Geschäftspartner David Rust. Er kannte uns also beide schon lange. 2011 habe ich die Firma Gemcolor übernommen, die übrigens immer noch mein zweites Standbein ist, und mich selbstständig gemacht. Das spielt insofern eine Rolle, weil Farb- und Edelsteine auch für die Firma Bolli von grosser Bedeutung sind. Er wusste auch, dass Dave (so nennt sich David Rust) und ich uns gut verstehen. Wir führten damals ein Atelier und erledigten Auftragsarbeiten – unter anderen auch für Simonin. Er war von der Qualität unserer Arbeit begeistert und kam wohl deshalb auf die Idee, dass wir sein Geschäft übernehmen könnten.

Wie habt Ihr auf diese Anfrage reagiert?

Dave Rust: Als Erstes fühlten wir uns gebauchpinselt. David und ich haben ab und zu sinniert, wie wir uns weiterentwickeln könnten und ob es einen gemeinsamen beruflichen Weg geben würde. Also klang die Idee, ein renommiertes Geschäft an bester Lage zu übernehmen, verlockend. Bald kam aber die Frage auf: Wie um alles in der Welt können wir das stemmen?

Welches waren die grössten Hürden, die es zu überwinden galt?

David Neuweiler: Das waren die Finanzen. Da der bestehende Mietvertrag nach fünf Jahren erneuert werden musste, wollten uns die Banken kein Geld geben. Das heisst, höchstens unter der Bedingung, dass wir in dieser kurzen Zeit alles zurückbezahlen würden, was nie möglich gewesen wäre. Wir mussten erfahren, dass ein volles Schmuck- und Edelsteinlager für die Banken keine Sicherheit darstellt. Glücklicherweise fanden wir einen privaten Investor, und mit dem Entgegenkommen unseres Vorgängers wurde unser Traum Wirklichkeit. Auch die umfassende Beratung von Christoph Brack war unabdingbar und hat uns enorm geholfen. Dank dem, dass einige Vertrauen in uns hatten und uns ein erfolgreiches Geschäft zumuteten, konnte diese Übernahme binnen zweier Jahre verwirklicht werden.

 

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Anhänger in Roségold 750 mit einem Schwarzopal (2.68 ct), 16 Tsavolithen, 8 Saphiren und 13 Paraiba-Turmalinen.

 

Was ist geblieben wie es war und was macht Ihr anders als euer Vorgänger?

Am Anfang konnten wir in ein gemachtes Nest sitzen. Wir haben auch die Angestellten übernommen. Das war gut für die Kunden, die sich dadurch nach und nach an die neuen Gesichter gewöhnen konnten. In den sechs Jahren konnten wir das Schmucklager mit unseren eigenen Kreationen füllen. Vergangene Weihnacht präsentierten wir im festlich geschmückten Schaufenster erstmals ausschliesslich unsere Kreationen. Geändert hat sich vieles, als wir im Mai 2021, ebenfalls an der Multergasse, rund 50 Meter weiter, in ein Jugendstil-Haus umziehen konnten. Hier haben wir auf zwei Stockwerken viel Platz, alles ist moderner und hochwertiger – so wie unsere Schmuckstücke. Den Teil des Darlehens, das wir bis dann zurückbezahlt hatten, mussten wir wieder aufnehmen. Aus unserem Plan, die Schulden in sieben Jahren zu begleichen, sind nun zehn Jahre geworden.

Dave Rust: Der Generationenwechsel hat auch frische Ideen mit sich gebracht. Unsere Schaufenster sind auffälliger, als sie früher waren. Wir stellen weiterhin klassische Schmuckstücke im High-End-Bereich her. Im Angebot haben aber auch puristische Unikate in einer modernen Formensprache Platz. Farbsteine spielen bei uns ebenfalls eine wichtige Rolle. In unserem wunderschönen Atelier gewähren wir unseren  Kunden gerne einen Blick hinter die Kulissen und sie dürfen den Goldschmieden über die Schultern schauen.

CAD war für euch damals kein Thema. Wie sieht es heute aus?

In dieser Beziehung sind wir noch „extremer“ geworden. Bei uns gibt es nur handgefertigte Stücke, nichts Gegossenes und keine CAD-Technik. Wir zelebrieren das Handwerk, denn wir durften die Erfahrung machen, dass es viele Kundinnen gibt, die das so wollen und schätzen. Viele Goldschmiede sind der Meinung, dass man sich der Digitalisierung nicht mehr entziehen kann. Das kann man sehr wohl. Was wir leider feststellen müssen ist, dass es immer schwieriger wird, Arbeitskräfte zu finden, die das auch wollen und vor allem können. In der Schweiz wird die Goldschmiedekunst bis heute auf sehr hohem Niveau ausgeführt, was weit über die Grenzen hinaus bekannt ist. Wir sind der Meinung, dass die Zukunft unseres Handwerks nicht in der Digitalisierung liegt.

Wieso habt Ihr den Name Bolli beibehalten?

Da bei unserem Vorfahren schon kein Bolli mehr im Geschäft war, wird der Name schon lange nicht mehr mit einer Person assoziiert. Viel mehr ist er zu einer Marke geworden. Aus diesem Grund war eine Namensänderung nie ein Thema.

Ihr seid zwei Chefs in einem kleinen Unternehmen. Wie sieht die Rollenverteilung aus?

David Neuweiler: In der Zwischenzeit haben sich klare Rollen herauskristallisiert. Ich bin vorwiegend für den Verkauf, die Dekoration, die Edelsteine und die Personaladministration zuständig. Dave verantwortet, was im Atelier läuft, und kümmert sich um die Produktion. Zur Geschäftsleitung dazugekommen ist Daves Partnerin Manuela Müller. Bei ihr laufen die Fäden zusammen. Sie kümmert sich hauptsächlich um die Kundenbetreuung, Offerten, Kundenzeichnungen, die Produktionsplanung und die Buchhaltung.

Was fordert euch am meisten?

Das Personal. Allen neun Individuen im Geschäftsalltag gerecht zu werden sowie qualifizierte Mitarbeiterinnen zu finden, wird bei unseren Standards immer schwieriger. Zudem ist es nicht einfach, innovativ zu bleiben und im Dienstleistungsbereich Neues zu bieten. Dann kommt noch der Edelsteinbereich dazu. Dort wird es ebenfalls
immer schwieriger, aussergewöhnliche Steine zu fairen Preisen anbieten zu können, das heisst, der Aufwand dafür wird grösser.

Was sind eure Ziele und Hoffnungen?

In unsere Geschäftsabläufe ist inzwischen eine gewisse Routine gekommen, die uns den Berufsalltag erleichtert. Auch unser revidierter Businessplan scheint aufzugehen, so dass wir die Schulden
planmässig abzahlen können. Unser neunköpfiges Team ist stark und wird wohl noch lange so bleiben. Ein weiteres Ziel ist, die Branche zu stärken, indem wir junge Goldschmiede ausbilden. Im Sommer kommt der zweite Lernende dazu. Wir würden auch gerne einen Edelsteinfasser oder eine Edelsteinfasserin ausbilden, aber Junge, die das werden möchten, sind dünn gesät.

Daniela Bellandi

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