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Altes Wissen neu interpretiert

Seit nunmehr 15 Jahren laden die Pforzheimer Hochschule und die Firma C. Hafner zum Stipendiatenprogramm „PF revisited Berlin“ ins Deutsche Technikmuseum nach Berlin ein. In dessen Abteilung „Manufakturelle Schmuckgestaltung“ können Gestalter und Besucher arbeiten und experimentieren – auch jenseits des Stipendiums.

„Das ist ein Traum!“ jubelte Christiane Köhne als eine der ersten „PF revisited Berlin“ – Stipendiatinnen 2012 über die Arbeit in der Abteilung „Manufakturelle Schmuckgestaltung“. Bis heute verwendet die Stuttgarter Schmuckdesignerin die historische Technik des Guillochierens, die sie während ihres Aufenthaltes in Berlin erlernte. Für ihre Kollektion „Gefaltete Linie“ interpretiert sie die beinahe in Vergessenheit geratene manufakturelle Gravurtechnik in zeitgenössischen und alltagstauglichen Schmuckvarianten.

Räumliche Gestaltung mit Guilloche-Muster: Kette von Frieda Dörfer (2013).

Genau das ist das Ziel von „PF Revisited Berlin“: Das Stipendium soll jungen Designern, Handwerkern und Künstlern die Möglichkeit bieten, das gestalterische Potenzial traditioneller Schmuckverfahren wie Guillochieren, Emaillieren, Pressen oder Hohlprägen zu erleben und in Form eigener, zeitgenössischer Entwürfe neu zu interpretieren. Auch digitale Verfahren wie der 3D-Druck in Edelmetall werden dabei integriert. Möglich wird all dies nicht zuletzt durch die von den Stipendiaten liebevoll „old masters“ genannten, erfahrenen Goldschmiede der Arbeitsgruppe „Schmuck verbindet“. Deren Erfahrungsschatz trägt wesentlich zum Fortbestehen der traditionellen Techniken bei. Geduldig vermitteln sie die Arbeit mit den alten Maschinen und Werkzeugen und stehen den jungen Stipendiaten helfend zur Seite.

Guillochier-Arbeiten von Bine Roth (2021).

Erfolgreiche Kooperation

Kein Wunder also, dass Stipendiaten, die in den zurückliegenden 15 Jahren Gelegenheit hatten, sich in den Werkstätten des Berliner Technikmuseums intensiv mit den einzelnen handwerklichen Schmucktechniken zu beschäftigen, begeistert sind. Ob Frieda Dörfer (2013), Anna Sophie Fink (2019) oder Bine Roth (2021) – sie alle berichten von einer wunderbaren Möglichkeit, sich für ein paar Monate voll und ganz auf die alten Maschinen einzulassen und verschiedene Techniken spielerisch erforschen zu können.

Die Wahl der diesjährigen Stipendiatin fiel auf Hellena Hueck. Die in Berlin lebende Goldschmiedin und freiberufliche Schmuckgestalterin will das viermonatige Stipendium im Technikmuseum nutzen, um tragbare Schmuckschatullen zu entwickeln, die nicht zuletzt mit einer Prise Humor versehen sein sollen. Dabei wird die diesjährige Preisträgerin digitale und traditionelle Techniken kombinieren. „Mein Ziel ist es, kecke und alternative Arbeiten zu schaffen, die einen nicht-hierarchischen Dialog zwischen Schmuck, Objekt und persönlichen Anekdoten eröffnen“, erklärte Hellena Hueck bei der Veranstaltung anlässlich des 15-jährigen Jubiläums im Pforzheimer EMMA Kreativzentrum.

Kinder-Mitmachaktion im Bereich Schmuckgestaltung im Technischen Museum Berlin.

„Was vor vielen Jahren als Förderidee begann, ist heute eine etablierte Plattform für mutige Gestaltung, künstlerische Tiefe und neue Perspektiven im Schmuckdesign“, sagt Birgitta Hafner, Geschäftsführerin des Pforzheimer Unternehmens C. Hafner, das die Kooperation mit dem Studiengang Schmuck der Hochschule Pforzheim und der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin vor 15 Jahren startete. „Als Familienunternehmen liegt uns die Nachwuchsförderung besonders am Herzen“, so die engagierte Branchenexpertin.

Eigentlich richtet sich das Stipendium PF revisited Berlin ausschliesslich an Alumni der Schmuckstudiengänge der Hochschule Pforzheim sowie an ehemalige „Designers in Residence“ des EMMA Kreativzentrums. Zum 15-jährigen Jubiläum jedoch konnten sich auch Alumni der Partnerhochschule Konstfack Stockholm bewerben. „Mit der Konstfack verbindet uns ein ähnlicher Zugang zur materialbasierten Gestaltung und zum experimentellen Umgang mit Techniken“, erklärt Christine Lüdeke, Professorin im Fachbereich Schmuck an der Hochschule Pforzheim. Inzwischen gibt es ähnliche Kooperations- oder Semesterprojekte auch mit anderen Schmuckschulen – beispielsweise der Pforzheimer Goldschmiedeschule mit Uhrmacherschule, der Staatlichen Berufsfachschule Neugablonz-Kaufbeuren sowie der Staatlichen Zeichenakademie Hanau. Deren Auszubildende absolvieren regelmässig etwa zweiwöchige Praktika in der manufakturellen Schmuckabteilung des Museums.

„Gefaltete Linie“: Zeitgenössische Interpretation des Themas Guilloche durch Kombination klassischer Muster, Christiane Köhne (2012).

Interesse fürs Schmuckmachen wecken

Aber auch jenseits von Stipendien und Schulprojekten ist das Berliner Technikmuseum und dessen einzigartiger Schmuckabteilung einen Besuch wert. Besonders spannend sei es, den Designern, die nach Absprache in den Museumswerkstätten an eigenen Projekten arbeiten können, über die Schulter zu schauen, berichtet Andrea Grimm. „Das Angebot wird sehr gut angenommen, auch international“, sagt die gelernte Goldschmiedin, die seit 2015 die Werkstatt leitet und dabei unter anderem von zwei ehemaligen „PF revisited Berlin“-Stipendiatinnen unterstützt wird. Alle Mitarbeiter sind mit den alten Maschinen und Techniken inzwischen so vertraut, dass sie Neulinge anlernen, Fragen fachkundig beantworten und Besuchervorführungen leiten können. „Es ist immer jemand da, der kompetent Auskunft geben kann“, versichert Andrea Grimm.

„Fox fur“, Halsschmuck von Stipendiatin Stephanie Hensle (2012) aus Messing und Leder.

Ziel der Abteilung ist es, das einzigartige Wissen der manufakturellen Schmuckherstellung zu erforschen, zu bewahren und zu dokumentieren. Und ganz allgemein das Interesse für das Handwerk des Schmuckmachens zu wecken – auch bei Interessierten ohne Vorkenntnisse: In Einführungskursen erlernen sie einzelne Techniken und können anschliessend, im Rahmen der offenen Werkstatt die Maschinen und Werkzeuge im Museum nutzen, um das Gelernte eigenständig zu vertiefen. Angebote gibt es auch schon für die Jüngsten: Bei Mitmachaktionen für Kinder ab sechs Jahren lernt der Nachwuchs, Ringe zu biegen, Perlen aufzufädeln oder Zinnguss zu bemalen. Ob Andrea Grimm und ihr Team einen Besucheransturm erleben, seit die UNESCO das Gold- und Silberschmiedehandwerk im Frühjahr 2025 zum immateriellen Kulturerbe ernannt hat? „Nein“, lacht die Werkstattleiterin. „Wir wissen, dass Besucher des Berliner Technikmuseums überwiegend wegen der Flugzeuge und Lokomotiven herkommen. Umso mehr freut es uns, wenn sie begeistert sind, hier etwas so unerwartet Spannendes wie unsere Schmuckabteilung vorzufinden.“

Christel Trimborn

manufakturelle-schmuckgestaltung.de
designpf.hs-pforzheim.de
c-hafner.de

Titelbild: Hellena Hueck (Mitte), Stipendiatin 2025 des Programms PF revisited Berlin, mit Birgitta Hafner, Geschäftsführerin von C. Hafner (l.) und Prof. Christine Lüdeke von der Hochschule Pforzheim (r.)

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