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Leder

In seinem Ursprungsland, dem tropischen Afrika, lief der dunkelhäutige Mensch völlig nackt herum. Erst als er sich in kühlere Breitengrade vorwagte, ergab sich ein Bedarf für Schutz vor Kälte und Regen. Dass man dazu die Häute und Felle erlegter Tiere benutzen konnte, war eine der disruptiven Innovationen der Steinzeit.

In der Natur gab es keinerlei Vorbild, das genetisch gegebene Feder- oder Fellkleid der Tiere auf „künstliche“ Weise zu ergänzen. Doch dank seinem hochentwickelten Gehirn konnte der Mensch die Darwinsche Evolution umgehen: Mit Häuten und Fellen lernte er, Schuhe, Kleidungsstücke und Zelte zu fertigen. So konnte er seine empfindlichen Füsse schonen und neue Jagdgründe erschliessen, auch weit ausserhalb des Tropengürtels. Allerdings lieferte das blosse Trocknen von Tierhäuten ein steifes, kaum brauchbares Produkt. Erst durch das Gerben wurde die verderbliche Tierhaut in widerstandsfähiges, weiches und geschmeidiges Leder umgewandet. Der beim Gerben wichtigste Vorgang ist die Vernetzung der Kollagenfasern, aus denen die Lederhaut besteht. Letztere befindet sich zwischen der mit Haaren besetzten Oberhaut und der ein Bindegewebe bildenden Unterhaut, von der die Lederhaut mitsamt der Oberhaut abgezogen werden kann.

Zuerst wurde die Fettgerbung erfunden; dabei wurden die frischen Häute und Felle mit Gehirnmasse oder Fett des erlegten Tieres eingerieben, um sie geschmeidig und haltbar zu machen. Dies war eine weitere, disruptive Innovation. Wie und wann der Mensch herausfand, dass sich neben Fett auch gewisse pflanzliche Stoffe zum Gerben eigneten, werden wir nie wissen. Jedenfalls mussten die geeigneten Pflanzenteile entweder Tannine, das heisst Derivate der Gallussäure (Trihydroxybenzoesäure) oder Derivate des Pyrocatechols (Dihydoxybenzol) enthalten.

Vom pflanzlichen Gerben zur Chromgerbung

Aufgrund von Gräberfunden ist es gesichert, dass die alten Ägypter und Sumerer das Gerben mit Extrakten von Rinden und Blättern perfekt beherrschten. Auch die 5300 Jahre alte Gletschermumie Ötzi trug Schuhe, Kleidung und Mütze aus pflanzlich gegerbtem Leder.

Das antike Gerberei-Knowhow „erbten“ die Griechen und Römer, die auch anorganisch, das heisst mit Alaun gerben konnten. Das war für das Imperium lebenswichtig, denn für die Ausrüstung der Legionäre wurde viel Leder benötigt. Kaum Neues gab es im Mittelalter und bis weit in die Neuzeit hinein. Erst 1858 wurde die Chromgerbung erfunden. Weil sie viel schneller und effizienter war, verdrängte sie die pflanzliche Gerbung fast vollständig.

Schuhunterleder, Blankleder, Sattlerwaren und Futterleder wird aus den von Schlachthäusern gelieferten Häuten von Rindern, Kälbern, Schweinen und Ziegen hergestellt. Die Jagd spielt nur noch eine untergeordnete Rolle, ausser in Australien wo Hegeabschüsse grosse Mengen von Känguruh-Häuten liefern. Ihre Eigenschaften sind denjenigen von nordafrikanischen Ziegenhäuten ähnlich; wie letztere eignen sie sich hervorragend zur Herstellung von Schuh-Oberleder.

Mehrstufiges Vorgehen

Um sie bis zum Gerben zu konservieren, werden frische Tierhäute auf der Fleischseite eingesalzen. Der Gerber erhält demnach harte Rohhäute, die er zuerst gründlich einweichen und waschen muss. Die nach der sogenannten Weiche wieder geschmeidig gewordenen Häute werden meist mit rotierenden Messern maschinell entfleischt, um allfällige Reste von Unterhaut und Muskelgewebe zu entfernen.

Beim anschliessenden Äschern wird die Haut in einem langsam rotierenden Fass mit einem Gemisch von Kalkmilch und Natriumhydrogensulfid behandelt. Dabei werden die untere Schicht der Oberhaut und die Haare vollständig aufgelöst. Der grösste Teil des in den Handel kommenden Leders wird anschliessend mit Lösungen von Salzen des dreiwertigen Chroms gegerbt. Nur noch kleine, handwerkliche Betriebe gerben unter grossem Arbeitsaufwand weiterhin mit pflanzlichen Stoffen wie Quebracho, Mimose, Eiche, Rosskastanie und Mangrove.

Wichtige Effekte

Die wichtigsten Effekte des Gerbens sind die Vernetzung der Kollagenfasern und die starke Reduktion des Wassergehalts von 60 bis 80 Prozent auf 14 bis 18 Prozent. Bei der anorganischen Chromgerbung erfolgt die Vernetzung durch Komplexbildung zwischen Chromionen und den Säuregruppen im Kollagen. Beim Einsatz von pflanzlichen oder synthetischen organischen Gerbemitteln werden die Kollagenfasern durch eine besondere Art chemischer Bindung vernetzt. Abgesehen von den Kollagenfasern besteht gegerbtes Leder wie schon erwähnt aus 14 bis 18 Prozent Wasser sowie je nach Art des Gerbens aus 4 bis 32 Prozent gebundenem Gerbstoff.

Leder ist auch aus dem modernen Alltagsleben nicht wegzudenken, vor allem in Form von Schuhen sowie Taschen, Gürteln oder Portemonnaies. Uhren der gehobenen Klasse werden vorwiegend mit Lederbändern am Handgelenk befestigt. Dabei spielt die Haut junger Zuchtalligatoren eine wichtige Rolle; als exotisch gelten Armbänder aus Schlangen- und Eidechsenleder. Auch Lederschmuck gibt es, vorwiegend in Form von Armbändern und Lederschnüren, die als Halsketten dienen und sich vielseitig dekorieren lassen.