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Zelluloid

Zelluloid ist ein halbsynthetischer Kunststoff. Zu seiner Herstellung werden Cellulose und Campher benötigt, das heisst pflanzliche Naturprodukte. Cellulose ist die in der Natur am weitesten verbreitete Kohlenstoffverbindung. Den Campher andererseits lieferte früher ein fernöstlicher Baum, heute wird er synthetisch hergestellt.

Cellulose ist ein Kohlenhydrat mit dem Mehrtausendfachen der Formel C6H10O5. Dies entspricht der Formel des Traubenzuckers oder Glucose C6H12O6 minus ein Wassermolekül H2O. Durch Abspalten eines Wassermoleküls pro Glucosepaar verbinden sich jeweils 5000 bis 10’000 ringförmige Glucoseeinheiten zu langen Ketten.

Aufgrund seiner Zusammensetzung aus Glucose wird Cellulose als Polysaccharid bezeichnet. Dasselbe gilt für Stärke, das weltweit wichtigste Nahrungsmittel. Stärke unterscheidet sich von der Cellulose lediglich durch die Art der Bindung zwischen den Glucoseeinheiten. Stärke lässt sich enzymatisch leicht zu Glucose abbauen, bei der Cellulose ist dies schwierig; sonst hätten Kleidungsstücke aus Baumwolle keinen Bestand. Und genau aus diesem Grund lässt sich aus Cellulose auf wirtschaftliche Weise vorderhand kein Ethanol herstellen, das als erneuerbarer Treibstoff für Motorfahrzeuge geeignet ist.

Vor der Verarbeitung zu Zelluloid muss Cellulose mit einem Gemisch von Salpetersäure und Schwefelsäure zu Nitrocellulose umgesetzt werden. Dies ist die Schiessbaumwolle. In gelatinisierter Form ist sie die Basis für Munition, Sprengstoffe aller Art und sogar Raketentreibstoffe. Sie wird auch zur Herstellung von Zaponlack, Nagellack und Klebstoffen gebraucht.

Campher als Plastifizierungs-Agens

Campher (umgangssprachlich auch Kampfer), die zweite Komponente des Zelluloids, wird im Orient seit Urzeiten als eine Art Weihrauch und für medizinische Zwecke verwendet. Er ist psychoaktiv und leicht toxisch. Sein Geruch ist aromatisch-holzig und eukalyptusartig. Campher kommt im Holz und in den Blättern von Cinnamonium camphora vor, ein Baum, der im Südküstenbereich Chinas und auf Taiwan gedeiht. Wenn er ein Alter von drei bis vier Jahren erreicht hat, kann man mit dem Ernten von Blättern und Zweigen beginnen. In zerquetschter Form werden sie einer Wasserdampfdestillation unterzogen. Damit erhält man rohen Campher, der anschliessend noch zweimal destilliert wird. Der von der Industrie benötigte Campher wird aus dem Terpen Alpha-Pinen synthetisiert.

Zelluloid wurde als erster thermoplastischer Kunststoff 1856 in den USA erfunden und bald industriell produziert, anfänglich vor allem als Ersatzstoff für Elfenbein, aus dem man damals Billardkugeln fertigte. Es handelt sich um eine feste Lösung von Cellulosnitrat und Campher in der Proportion 3:1 bis 4:1. Man erhält sie durch Verkneten der beiden Komponenten, häufig nach Zugabe von Farbstoffen bei über 80 Grad Celsius mit etwas Alkohol und anschliessendes, zahlreiche Male wiederholtes Kalandrieren. Dabei passiert die Masse Metallwalzen, wird gefaltet und erneut zwischen die Walzen geschoben. Die Nitrocellulose löst sich schliesslich im Campher vollständig auf und man erhält eine glasartige, plastische Masse, die sich durch Erhitzen leicht verarbeiten, verkleben und verschweissen lässt.

Das gemeinsame Kalandrieren verschiedenartig eingefärbter Zelluloidpartien führt zu reizvollen und sich nie wiederholenden Farbspielen im Fertigprodukt. Obwohl es bei vielen Anwendungen von petrochemischen Kunststoffen verdrängt wurde, bleibt Celluloid ein nicht unbedeutendes Produkt, das heute nur noch in China hergestellt wird. In asiatischen Ländern wie Indien und Pakistan spielt es für die Fertigung von Kämmen, Messergriffen, Brillengestellen und Spielzeug seit jeher eine wichtige Rolle.

Selbstzerstörendes Material

Bis in die frühen 1950er Jahre war Zelluloid die unentbehrliche Basis für Foto- und Kinofilm. Allerdings war das Material feuergefährlich, wurde mit der Zeit klebrig und zerfiel schliesslich zu einem braunen Pulver. Fotosammlungen und historische Filmarchive müssen darum nach spätestens 40 Jahren mit immensen Kosten auf Polyesterträger oder noch besser auf digitale Datenträger umkopiert werden.

In Europa wird Zelluloid zur Herstellung von Handorgeln und Schreibgeräten der Luxusklasse gebraucht; bei letzteren handelt es sich vorwiegend um Sammlerobjekte. Zudem ist Zelluloid-Modeschmuck ebenfalls beliebt. Eine an Bedeutung schwindende Anwendung ist die Herstellung von Pingpongbällen. Für Turniere werden allerdings nur noch Plastikbälle zugelassen, die keine Nitrocellulose enthalten. Übungsbälle hingegen, dürfen während einer Übergangszeit weiterhin aus Zelluloid bestehen. Zu den apokryphen Geschichten über Pingpongbälle gehört das Heben gesunkener Schiffe durch Injektion von Millionen solcher Bälle. Dies kam in einem Disney-Film vor, ist aber reine Fantasie: Die Bälle würden mehr kosten als der Bau eines neuen Schiffs.