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Umzug und Jubiläum

Die Uhrmacherschule in Genf ist die älteste ihrer Art in der Schweiz. Gegründet 1824, feiert sie im kommenden Jahr ihr 200. Jubiläum. Darüber hinaus hat sie in diesen Tagen einen grossen Umzug vollzogen und ist seit Anfang November im neu entstandenen Industrie- und Gewerbezentrum Espace Tourbillon in Plan-les-Ouates ansässig.

Die Uhrmacherschule Genf wurde 1824 als Ecole de Blancs (Blanc = Ebauche), das heisst als Schule für die Herstellung von Rohwerken gegründet. Im Lauf der Jahre wurde sie zwischenzeitlich um Berufe wie Elektroapparate-Konstrukteur oder Uhrmacher-Elektriker erweitert, Berufszweige, die später wieder verschwanden. In den Jahren 1966 bis 1968 folgte der Umzug an den Standort an der Route du Butin in der Gemeinde Petit-Lancy südwestlich von Genf, wo sich einst eine Munitionsfabrik befand.

Direktor der Schule ist seit 2009 Pierre Amstutz. Er ist diplomierter Mikrotechnik-Ingenieur HF. Nach verschiedenen Stationen bei renommierten Genfer Uhrenmarken war er später als Berater für die Uhrenindustrie tätig, bevor er sich dem Unterricht zuwendete. Seine ursprüngliche Ausbildung zum Mikrotechniker hatte er seinerzeit ebenfalls an der Genfer Uhr- macherschule absolviert.

Die Zahl der Lernenden an der Schule ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Waren es 2009 insgesamt 179 Lernende (dual und Vollzeit), sind es heute deren 306. Das Angebot besteht aus folgenden Uhren-Berufen: Uhrmacher/Uhrmacher-Praktiker EFZ (Vollzeit und dual), Mikromechaniker EFZ (Vollzeit und dual), Oberflächenveredler/ in Uhren EFZ (dual), Uhrenarbeiter EBA (dual), Polisseur EBA (dual) sowie der 1973 eingeführten Nachdiplomausbildung Techniker HF (Vollzeit). Seit 2012 neu dazugekommen sind die Ausbildungen Oberflächenveredler, Polisseur EBA (dual) und Uhrenarbeiter sowie vor drei Jahren die Ausbildung Qualitätsfachfrau/-mann Mikrotechnik EFZ (dual).

Die Mehrheit der Lernenden absolviert eine Ausbildung im Kernbereich Uhrmacherei. Jährlich werden 40 Vollzeit-Uhrmacherlehrstellen angeboten. Dabei beginnen alle Uhrmacher die gleiche Ausbildung. Nach zwei Jahren wird entschieden, wer die Lehre als vierjährige Uhrmacher-Ausbildung fortsetzt (ein Drittel der Lernenden) und wer nach drei Jahren als Uhrmacher-Praktiker (zwei Drittel) abschliesst . Dies, so Pierre Amstutz, weil es anfangs schwierig ist zu beurteilen, wer das Talent und die Leidenschaft für welche Spezialisierung mitbringt.

Zusammen mit den Mikromechanikern – hier stehen jährlich zwölf Vollzeit-Ausbildungs- plätze zur Verfügung – werden an der Genfer Uhrmacherschule insgesamt rund 50 Vollzeit- Plätze angeboten. Wie Amstutz ausführt, erhalte man im Schnitt zwischen 150 und 200 Bewerbungen, die im ordentlichen Auswahlverfahren, bestehend aus einem theoretischen und einem mündlichen Teil, berücksichtigt werden. Viel Wert wird dabei jeweils auf die persönliche Motivation der Bewerberinnen und Bewerber gelegt. Amstutz geht davon aus, dass durch die aktuelle Konjunktur und das Interesse an der Uhrmacherei für das kommende Jahr 2024/25 wohl etwa 300 Bewerbungen eintreffen werden.

Uhr und Gemeinschaftskultur – Spezialitäten der Schule

Seit 2010 stellen die Uhrmacherlernenden im Rahmen ihrer Ausbildung ihre eigene Schuluhr her. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen den Mikromechanikern, die die Teile des schuleigenen Manufaktur-Werks herstellen, und den Uhrmachern, die die Uhr zusammenbauen und zum Funktionieren bringen. Für die Lernenden ist es eine wertvolle Erfahrung, die eigene Uhr herzustellen und zu erleben, wie sie zu schlagen beginnt. Für das Jubiläumsjahr wird die Uhr in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Chopard um eine Komplikation erweitert. Darüber hinaus wird eine neue Schuluhr „Identité et Design“ für die Uhrmacher-Praktiker in den Unterricht integriert.

Eine weitere Spezialität der Schule ist die Lancierung eines umweltbezogenen Unterrichts-Blocks im Freien, der die Lernenden für die Bedeutung ökologischer und gesellschaftspolitischer Grundlagen sensibilisieren soll. Dazu gehört auch, dass sie in Zusammenarbeit mit den Lernenden der Mensa-Küche einen Wochen-Menuplan zusammenstellen dürfen, der auf lokalen und saisonalen Zutaten basiert.

Historischer Umzug

Aktuell steht die Uhrmacherschule Genf mitten in einer grossen Umzugsphase. Nach fast 60 Jahren im historischen Gebäude in Petit-Lancy ist sie Ende Oktober in die Nachbargemeinde Plan-les-Ouates in den neu errichteten Industrie- und Gewerbekomplex Espace Tourbillon umgezogen. Die Mikromechaniker haben dort bereits im August ihre Ausbildungen begonnen. Die Uhrmacher sind zwei Monate später, nach den Herbstferien gefolgt: Seit dem 6. November ist die komplette Schule am neuen Ort zu finden.

Wie Pierre Amstutz betont, erfolgt der Umzug hauptsächlich aus Platzgründen. Gerade in der Mikrotechnik hat sich in den letzten 25 Jahren viel verändert. Der für die Ausbildung erforderliche Maschinenpark ist bedeutend gewachsen, entsprechend platzte die Schule in Petit-Lancy zuletzt aus allen Nähten. Dazu sei gekommen, dass man dem Bedarf an dualen Ausbildungsplätze aufgrund der erhöhten Nachfrage seitens der Industrie nicht mehr gerecht wurde. Am neuen Ort, so Amstutz, könne man die Zahl der dualen Ausbildungsplätze jederzeit ausreichend erhöhen.

Es handelt sich um den sechsten Umzug seit der Gründung der Schule. Am neuen Ort, im Espace Tourbillon in Plan-les-Ouates, verfügt die Genfer Uhrmacherschule über Räumlichkeiten auf einer Fläche von 22’000 Quadratmetern. Der Umzug kam durch den finanziellen Beitrag der neuen, der Ausbildung gewidmeten Stiftung ForPro zustande, die wiederum von der Stiftung Hans Wilsdorf getragen wird. Diese hat das Projekt massgeblich unterstützt, ist Eigentümerin der neuen Räumlichkeiten im Espace Tourbillon und trägt auch die Mietkosten. Darüber hinaus wird die Schule regelmässig durch Material- und Einrichtungsspenden verschiedener Vertreter der regionalen Uhrenindustrie unterstützt.

Das grosse Jubiläum

Das Jubiläumsjahr 2024 wird mit verschiedenen Aktionen begleitet. Im Oktober 2024 wird ein 200-seitiges Jubiläumsbuch publiziert. Im Februar 2025 wird zudem eine permanente Jubiläumsausstellung mit dem Titel „L’horloger d’hier et d’aujourd’hui“ ins Leben gerufen, die in der Schule zu sehen sein wird. Gleichzeitig wird seit Oktober 2023 jeden Monat ein zwei- bis dreiminütiger Videobeitrag zum Jubiläum der Schule realisiert. Zu sehen sind die Beiträge online unter dem Link: flash.cadrange.ch. Die als Vorschau gedachten Beiträge entsprechen den zwölf Kapiteln des Jubiläumsbuches. Sowohl das Buch wie die Ausstellung stützen sich wesentlich auf das schuleigene Archiv und machen die Geschichte der Schule und der Uhrmacherei für das Publikum sichtbar.

Marcel Weder

edu.ge.ch/site/cfpt-horlogerie/


Nachruf

Pierre Amstutz ist am 10. November 2023 in seinem 55. Lebensjahr verstorben. Der gebürtige Genfer absolvierte zunächst an der Genfer Uhrmacherschule eine Lehre zum Mikromechaniker und diplomierte später zum Mikrotechnik-Ingenieur. Er war für Unternehmen wie Patek Philippe, EPS Etudes et Prototypes SA oder Rolex tätig, wirkte später als externer Berater für die Uhrenindustrie, ehe er 2005 entschied, sich ganz der Unterrichtstätigkeit zu widmen. Seit 2009 war Pierre Amstutz Direktor der Uhrmacherschule Genf. In dieser Funktion orchestrierte er auch massgeblich den in diesem Jahr erfolgten Umzug der Schule von Petit-Lancy nach Plan-les-Ouates und plante die Feierlichkeiten für das 2024 anstehende 200-Jahr-Jubiläum der Genfer Uhrmacherschule. mw

 

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