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Die Neandertaler und ihre Schmuckstücke

Neandertaler

Die Neandertaler besiedelten Europa 300‘000 Jahre vor dem modernen Menschen. Als dieser vor 43‘000 Jahren dort eintraf, lernten die Neandertaler von unseren intellektuell und kulturell überlegenen Vorfahren bessere Werkzeuge und sogar Schmuck herzustellen. Dies bewahrte sie aber nicht vor dem Aussterben.

Vor gut 150 Jahren wurde in einem Neandertaler Kalksteinbruch die Kalotte eines Schädels gefunden. Er wurde von den damaligen Experten, einem Urmenschen, zugeschrieben, den man seither als Neandertaler bezeichnet. Das Neandertal liegt im heutigen deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen zwischen Düsseldorf und Wuppertal.

Heute wissen wir, dass der Neandertaler oder Homo neanderthalensis und der moderne Mensch (Homo sapiens) einen gemeinsamen Vorfahren hatten, den vor rund 700‘000 Jahren in Afrika lebenden, schon vor 400‘000 Jahren nach Europa und in den Mittleren Osten vorstossenden Homo heidelbergensis. Der von ihm abstammende Neandertaler breitete sich in Süd- und Mitteleuropa bis nach Zentralasien aus. Der mit ihm eng verwandte moderne Mensch (auch Cro-Magnon-Mensch genannt) erschien vor rund 400‘000 Jahren, blieb lange in Afrika und erreichte erst vor 43‘000 Jahren den europäischen Kontinent.

Klein aber stämmig

Neandertaler waren relativ klein, aber stämmig und muskulös. Sie hatten einen voluminösen Brustkorb. Die Männer erreichten eine Grösse von 160 Zentimetern bei einem Gewicht von 60 bis 90 Kilogramm. Die Frauen waren mit durchschnittlich 147 Zentimetern deutlich kleiner und entsprechend weniger schwer. Der Neandertaler-Schädel war langgestreckt und flach, ihr Gehirnvolumen übertraf geringfügig das unsrige. Auffallend am Gesicht waren starke Wülste oberhalb der Augenbrauen, eine abgeflachte Nase, starke Kiefer und Zähne sowie ein fliehendes Kinn.

Als Grosswildjäger, die vor allem Bisons und Wildpferde erlegten, waren die Neandertaler den damals in Europa herrschenden eiszeitlichen Bedingungen (mit längeren Wärmeperioden) hervorragend angepasst. In Gruppen von 50 bis 60 Frauen, Männern und Kindern, durchstreiften sie riesige Gebiete und hatte kaum Konkurrenz zu befürchten. Man schätzt, dass es in ganz Europa nie mehr als etwa 10‘000 Neandertaler gab.

Anpassung an das eiszeitliche Europa

Der Neandertaler beherrschte das Feuer und ass nicht nur das Fleisch seiner Beutetiere, sondern auch Pflanzenteile und Samen. Seine Lebenserwartung war mit maximal 40 Jahren recht kurz. Die Toten wurden durch das Deponieren in Höhlen „entsorgt“, manchmal aber auch begraben und mit Grabbeigaben wie schönen Mineralien, Waffen und Blumen versehen. In solchen Höhlen fanden auch die Lebenden Unterschlupf und stellten ihre Werkzeuge her, die man der Moustérien-Kultur zuordnet. Eingeblasener Staub und einstürzende Decken sorgten für die langfristige Erhaltung der Knochen, die uns dank extrem empfindlicher Analytik über Erbgut und Proteine eine Fülle wichtiger Informationen über die Neandertaler liefern.

Vor 43‘000 Jahren muss es Begegnungen zwischen den Neandertalern und dem modernen Menschen gegeben haben. Dazu gehörte vermutlich brutaler Frauenraub seitens der graziler gebauten, weniger muskulösen aber geistig und darum waffentechnisch überlegenen modernen Menschen. Wir sind seine direkten Nachkommen, tragen aber 1 bis 3 Prozent von den Neandertalern geerbte Gene. Man schätzt, dass insgesamt 20 Prozent des Neandertaler Genoms in den verschiedenen europäischen Populationen überlebte. Dies sind klare Zeugnisse von intimen Begegnungen der beiden Menschenarten.

Andererseits beeinflussten unsere fernen Vorfahren die Neandertaler auf vielfältige kulturelle Weise. Nach dem Erscheinen des modernen Menschen in Europa konnten die alt-Ansässigen plötzlich Dinge, die sie früher nicht gekonnt hatten. Wie ihre Konkurrenten benutzten sie nicht nur abgeschlagene Feuersteine zur Herstellung von Messerklingen, Schabern sowie Pfeil- und Speerspitzen, sondern auch Mammut-Elfenbein, Geweihe und Knochen. Dazu kamen Fischgräte, die als Angelhaken verwendet wurden. Solche Innovationen wurden sehr wahrscheinlich von den Neu-Eingewanderten übernommen.

Überlegene Konkurrenten

Die Neandertaler lernten auch, sich zu schmücken. Dies taten sie mit Knochenstückchen, Schnecken-, Muschel- und Eierschalen sowie Zähnen und kleinen Fossilien. Offenbar handelte es sich vorwiegend um Halsketten, die mit Schnüren aus Tiersehnen zusammengehalten waren. Mit scharfen Steinklingen oder -spitzen wurden in den Kettengliedern Rillen angebracht, beziehungsweise Löcher gebohrt, die eine feste Verbindung gewährleisteten.

Zwar kennt man ein Beispiel von Halskettengliedern aus Klauen des Seeadlers, die auf ein Alter von 130‘000 Jahren datiert wurden. Doch nach frühen Kontakten mit dem Homo sapiens wurde Neandertalerschmuck häufiger und reichhaltiger. Insbesondere wurden Muscheln aus dem Mittelmeer verarbeitet: Es gab also schon damals weiträumigen Handel mit „Luxusgütern“. Über die von den Neandertalern angebotenen Tauschgüter kann nur spekuliert werden, möglicherweise war es Trockenfleisch.

In den von Neandertalern benutzten Höhlen fand man auch Ringe, Anhänger und Spangen aus Mammut-Elfenbein und Hirschgeweih. Aufgrund der Analyse des Kollagens, eines wichtigen Proteinbestandteils, das aus daneben liegenden Knochen isoliert wurde, ergab sich eindeutig, dass diese Schmuckstücke von Neandertalern und nicht von modernen Menschen geschaffen wurden, und zwar genau zur der Zeit, als die beiden Menschenarten in Europa koexistierten. Diese anscheinend nicht sehr friedliche Koexistenz dauerte höchstens 8000 bis 10‘000 Jahre, nach neueren Kohlenstoff-14-Datierungen sogar nur 3000 Jahre. Denn schliesslich verdrängte der moderne Mensch den Neandertaler. Er starb vor 35‘000 bis 40‘000 Jahren aus. Die bisher jüngsten Überreste wurden vor kurzem in einer spanischen Höhle gefunden.

Quelle: K. Wilhelm, Max Planck Forschung 2/17 (S. 18).

Bild: Vor 130’000 Jahren von Neandertalern als Kettenglieder
benutzte Klauen eines Seeadlers. Die Pfeile
zeigen auf Befestigungsrillen für Fäden aus Tiersehnen.

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