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Auf der Walz

Auf Wanderschaft zu sein, ist in. Viele, die in fremden Gefilden gelebt und gearbeitet haben, bezeichnen diese Monate oder Jahre im Rückblick als die spannendste Zeit ihres Lebens. Gold’Or hat sich bei Goldschmiedinnen, die auf der Walz waren, umgehört und erzählt in einer neuen Serie ihre Geschichten.

Schwarze Samt- oder Manchesterkleidung mit weiter Schlaghose, eine Weste über dem weissen, kragenlosen Hemd, ein Schlapphut, ein Zylinder oder eine Melone und ein Reisebündel: Die Wandergesellen erinnern an Gestalten aus dem Mittelalter. Besonders in Deutschland lebt die 800 Jahre alte Tradition weiter, aber auch junge Handwerker und Handwerkerinnen aus der Schweiz und Österreich lassen sich nach abgeschlossener Ausbildung gerne auf das Abenteuer ein. Die traditionelle Kluft ist für alle Berufsgattungen die gleiche. Sie unterscheidet sich jedoch in den Farbtönen und in der Farbe der sogenannten Ehrbarkeit, die eine Art Krawatte darstellt.

Die Zimmerleute sind die grösste Gruppe unter den Wandergesellen. Aber von Steinmetzen, Maurern, Schreinern, Betonbauern über Schneiderinnen bis zu Huf- und Goldschmiedinnen findet man junge Leute aus allen traditionellen Handwerksberufen. Organisiert werden die Wanderschaften von Schächten, das sind Gruppierungen, die aus den früheren Zünften entstanden sind. Wer auf die Walz geht, muss sich an teilweise Jahrhunderte alte Regeln und Rituale halten. Zu den wichtigsten gehört die Mindestdauer der Wanderjahre: So sollten die Gesellinnen während mindestens drei Jahren und einem Tag nicht näher als 50 Kilometer an ihren Wohnort herankommen. Telefonieren ist zwar erlaubt, aber ein eigenes Handy oder ein Computer haben in der Ausrüstung keinen Platz. Fortbewegen tut man sich zu Fuss oder per Autostopp. Das Benützen des öffentlichen Verkehrs ist verpönt, ausser man hat beim Anbieter vorgesprochen und muss für die Fahrt nichts bezahlen.

Nachhaltige Projekte

Goldschmiede gingen lange kaum mehr auf diese Wanderschaft. Einer der Ersten, der diese Tradition wieder aufleben liess, ist der gelernte Goldschmied und Kulturwissenschaftler Jan Spille aus Hamburg. Er war in den Jahren 2002 bis 2005 unter anderem auch in der Schweiz unterwegs und bekam seine erste Gesellenanstellung bei Rene Zellweger in Neuenkirch, Luzern (s. Porträt Wenn Schweizer (aus)wandern). Er erinnert sich gerne an die abenteuerlichen Zeiten und ist stolz, dass sich daraus im wahrsten Sinne des Wortes zahlreiche nachhaltige Projekte ergeben haben. Jan Spille gilt nämlich heute in Deutschland als der Fairtrade-Gold-Aktivist der Schmuckbranche.

Als erster Goldschmied in unserem Nachbarland verarbeitet er Eco- und Fairtrade-Edelmetalle und Edelsteine – und das seit 2003. Sein Hamburger Atelier wurde 2015 als erstes deutsches Schmuckunternehmen Fairtrade-zertifiziert. Auf regelmässigen Bergbaureisen nach Afrika, Südamerika und Asien, besuchen er und sein Team die Goldschürfer und unterstützen sie in der Zertifizierung. „Wir wollen die Menschen persönlich kennenlernen, deren Gold und Silber wir zu Schmuck verarbeiten“, sagt er. Darüber hinaus engagiert er sich auch entlang der Lieferketten für nachhaltige Rohstoffe und eine nachhaltige Unternehmensführung. Er hält branchenübergreifend Vorträge, gibt Workshops für Bildungseinrichtungen und berät Fairtrade-Organisationen. Für sein leidenschaftliches Engagement wurde Jan Spille mehrfach ausgezeichnet.

Daniela Bellandi

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