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Schweizer Atomuhr

Vor 62 Jahren wurde in Neuenburg die erste Schweizer Cäsiumuhr gebaut. Wenig später wurde die Sekunde auf der Basis, der in solchen Uhren genutzten Schwingung des Cäsiumatoms neu definiert. Die Trennung der Zeiteinheit Sekunde von den bisher geltenden astronomischen Kriterien gilt als Meilenstein für die Metrologie.

Bis 1960 galt ja die sogenannte Sonnensekunde, das heisst 1/86’400 des mittleren Sonnentags. Weil die Rotationsdauer der Erde nicht sehr stabil ist, galt von 1960 bis 1967 die sich aus dem Verhältnis zwischen Jahresdauer und Erdrotation ergebende, eher unpraktische Ephemeridensekunde. Die 1967 eingeführte Atomsekunde entspricht einem magnetisch bedingten Energieübergang zwischen dem Kern des Cäsiumatoms und seinem äussersten Elektron. Dessen Eigendrehimpuls oder Spin kann parallel oder antiparallel zum Atomkern sein.

Bei parallelen Spins ist das Atom angeregt, bei gegenläufigen Spins ist es nicht angeregt. Die Energiedifferenz entspricht einer Mikrowellenstrahlung, deren Wellenlänge 32,6 Millimeter, die dazugehörige Frequenz 9,192 Gigahertz beträgt. Unter irdischen Bedingungen ist der Übergang zwischen den beiden Zuständen von äusseren Einwirkungen wie Temperatur und Druck völlig unabhängig.

Die erste Cäsium-Atomuhr

Das Prinzip der Atomuhr wurde 1945 in den Vereinigten Staaten erkannt. Sieben Jahre später gelang dort am National Bureau of Standards (NBS, heute NIST) der Bau der weltweit ersten Cäsium-Atomuhr. Sie umfasste einen Ofen, in dem kleine Mengen des Alkalimetalls Cäsium bei 100 Grad Celsius im Hochvakuum verdampften und einen Strahl bildeten. Ein magnetischer Filter sorgte dafür, dass nur nicht-angeregte und darum nicht-magnetische Atome geradeaus in einen rohrförmigen Mikrowellen-Hohlraum flogen.

Dort wurde ein Teil der Cäsiumatome durch eingestrahlte Mikrowellen in den angeregten Zustand gebracht. Am Ende des Rohres wurden die neu angeregten Atome auf einen Detektor gelenkt und gezählt. Die Frequenz der eingestrahlten Mikrowellen wurde so nachgeregelt, dass sie möglichst genau der Energiedifferenz zwischen dem angeregten und dem nicht-angeregten Zustand des Cäsiumatoms entsprach, das heisst 9,192 Gigahertz. Diese Mikrowellenfrequenz wurde mit einer Quarzuhr synchronisiert, die auf diese Weise mindestens 100 Mal präziser wurde.

Wasserstoffuhr der Neuenburger Firma Spectratime für die Navigationssatelliten des Galileo-Systems.

Beginn der Entwicklung

In der Schweiz begann die Entwicklung von Atomuhren am Uhrenforschungsinstitut LSRH in Neuenburg. Dort wurde 1957 eine 750 Kilogramm schwere Cäsiumuhr gebaut, die eine Gangabweichung von einer Sekunde in tausend Jahren aufwies; sie war im Schweizer Pavillon der Weltausstellung von 1958 in Brüssel zu sehen. Zwei Jahre später baute das LSRH-Team eine weitere Cäsiumuhr mit einem fünf Meter langen Mikrowellen-Hohlraum. 1960 erhofften sich Wissenschafter am Neuenburger Observatorium (Observatoire de Neuchâtel, ON) einen Durchbruch mit einer Atomuhr, die den magnetischen Energieübergang des Metalls Thallium nutzte. Sie war aber nicht präziser als die damaligen, kommerziellen Cäsiumuhren  von Hewlett-Packard und Oscilloquartz, von denen das Observatorium je ein Exemplar erwarb.

Oscilloquartz wurde 1949 in Neuenburg von der Uhrwerkgruppe Ebauches SA als Tochterfirma gegründet. Sie produzierte zuerst Quarz-Grossuhren für Observatorien und Zeitzeichensender. Ab 1966 baute Oscilloquartz auch Cäsiumuhren mit dem Markennamen Oscillatom. Das  Observatorium andererseits spezialisierte sich auf Rubidium- und Wasserstoffuhren. 1990 begann am ON die Entwicklung einer neuen Generation von langfristig besonders stabilen Wasserstoffuhren; sie waren für die Bodenstationen der European Space Agency (ESA) bestimmt und erreichten eine Gangabweichung von einer Sekunde in zehn Millionen Jahren. Für die Navigationssatelliten des europäischen Galileo-Systems wurden besonders kompakte Wasserstoff- und Rubidiumuhren entwickelt. Als das Observatorium 2007 geschlossen wurde, übernahmen die Spinoffs Spectratime und T4Time in Neuenburg die Produktion dieser Uhren.

Primär-Frequenzstandards des Fontänentyps

Zu den weltweit führenden Primär-Frequenzstandards (die auch extrem präzise Uhren sind), gehören diejenigen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Es handelt sich um drei Fontänenuhren, die 1999 beziehungsweise 2008 in Betrieb genommen wurden. Bei Atomuhren dieser Art werden die Cäsiumatome nach dem Austritt aus dem Ofen mit Laserstrahlen stark abgebremst, das heisst gekühlt. Ihre Geschwindigkeit wird dabei auf wenige Zentimeter pro Sekunde reduziert. Die gekühlten Cäsiumatome werden mit einem Laser-Lichtimpuls paketweise etwa einen Meter hoch angehoben; anschliessend fallen sie unter dem Einfluss der Schwerkraft wieder zurück. Auf beiden Wegen passieren sie einen Mikrowellen-Hohlraum, wo sie insgesamt während knapp einer Sekunde angeregt werden – tausendmal länger als im Fall ungebremster Atome. Atomuhren des Fontänentyps weisen eine Gangabweichung von etwa einer Sekunde in 30 Millionen Jahren auf.

Im Auftrag des Eidgenössischen Instututs für Metrologie (Metas) begann Pierre Thomann 1991 am ON mit der Entwicklung eines Schweizer Primärfrequenznormals. Es handelte sich um eine Cäsiumuhr des Fontänentyps, die im Gegensatz zu den PTB-Ausführungen auf einem kontinuierlichen, wurfparabelförmigem Strahl lasergekühlter und entsprechend langsamer Cäsiumatomen basiert. Das erste dieser Frequenznormale trug die Bezeichnung FOCS-1 (Fontaine Continue Suisse) und wurde dem Metas 2003 geliefert. Anschliessend wurde unter teilweiser Kannibalisierung von FOCS-1 ein zweites, weiter verbessertes Modell (FOCS-2) in Angriff genommen. Nach der 2007 erfolgten Schliessung des ON übernahm das neu gegründete Laboratoire Temps Fréquence (LTF) der Universität Neuenburg unter der Leitung von Thomann und seinem Nachfolger Thomas Südmeyer das Projekt; es war 2012 abgeschlossen. Die Gangabweichung von FOCS-2 beträgt eine Sekunde in 30 Millionen Jahren.

Bild: Die 1958 in Betrieb genommene, erste Schweizer Cäsiumuhr umfasste eine Gruppe von fünf kleiderkastengrossen 19-Zoll-Elektronik-Racks (links) sowie eine Quarzuhr in der Grösse eines weiteren Schranks.

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