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Von der Protestkultur zum Mode-Genre

Ringe durch Nasen oder Lippen und in die Haut tätowierte Motive waren in den 80er Jahren Zeichen einer Protestkultur. Damit demonstrierten Punker und Rocker ihr Anderssein und grenzten sich von herkömmlichen Wertvorstellungen ab. Das hat sich geändert. Tattoos sollen heute die Persönlichkeit zum Ausdruck bringen und sind in breiten Gesellschaftsschichten vorzufinden.

Der Wunsch, den Körper zu verändern und zu schmücken ist alt. Es wird vermutet, dass schon die Urmenschen nicht nur ihre Höhlen, sondern auch ihre Haut bemalt haben. Tätowierungen und Körperbemalungen waren und sind weltweit verbreitet aber die Bedeutung unterscheidet sich von Kultur zu Kultur und von Zeit zu Zeit. Ornamente und Motive stellen Gruppenzugehörigkeit und Rang dar, demonstrieren Trauer oder haben eine schützende und magische Bedeutung. Immer spielen dabei Traditionen und Rituale eine zentrale Rolle.

Der älteste Europäer mit Nadellinien unter der Haut, der je entdeckt wurde, ist die rund 5500 Jahre alte Gletschermumie Ötzi. Da sich seine Hautmale genau an den klassischen Akupunktur-Punkten für Arthrose-Leiden befinden, wird heute vermutet, dass sie die Schmerzen des Mannes lindern sollten. Im 18. Jahrhundert brachten der britische Seefahrer James Cook und der Forscher Joseph Banks Tätowierungen von ihren Pazifikreisen mit nach Europa – natürlich am eigenen Körper. Aus dem tahitischen Begriff „te tatau“ wurde über die Jahre das englische Wort Tattoo.

Tribal-Tattoos und Seemannsträume

Anfang des 20. Jahrhunderts waren Tätowierungen vor allem bei Seeleuten, Soldaten, Häftlingen und Prostituierten zu sehen. Anfang der 90er Jahren erlebten Tattoos und Piercings ihren Durchbruch und es entstand ein allgemeiner Trend für diese Art von Körperschmuck. Die sogenannte Tribal-Tattoos erlebten ihre Hochblüte. Während sie bei Männern oft die Arme zierten, wurden sie bei Trägerinnen vorzugsweise auf dem Steiss platziert und waren unter der umgangssprachlichen Bezeichnung Arschgeweih bekannt. Ebenfalls trendig waren die Old-School-Motive, die ihren Ursprung häufig in alten Seemannstätowierungen wie Sterne, Schwalben, Anker oder Herzen haben. Zu den immer wieder wechselnden Trends gehörten oder gehören immer noch Kindernamen und Geburtsdaten, Unendlichkeitssymbole, Mandalas, Federn, Pusteblumen und viele mehr.

Auch Motive aus der akademischen Welt, dem Computerbereich und die sogenannten Biomechanik-Tattoos, Motive von Hautöffnungen, hinter denen Muskeln, Organe oder Maschinenteile sichtbar sind, wurden immer öfter gestochen. Heute werden Tattoos, Piercings und Co. in der Gesellschaft akzeptiert und stellen ein eigenes Mode-Genre dar. So gehen auch in dieser Gattung Trends vorbei, die auf der Haut dann eben bleiben oder zumindest langsam unter dem steten Atem des Alterungsprozesses verblassen. (db)

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